Mein Balkan
von Dorijan Minci
Ich soll etwas zum Balkan schreiben. Weil ich meine Wurzeln dort habe. In Montenegro, um genau zu sein. Stört es mich, dass man sich für mich interessiert, nur weil ich einen Balkan-Hintergrund habe?
Es stört mich nicht, wenn ich ehrlich bin. Der Teufel steckt aber im Detail. Viele haben eine falsche Vorstellung meiner Ethnie und Kultur. Ich gehöre zwar durch meine Eltern zu einer gewissen Ethnie, bin aber kulturell mehr mit der Schweiz im Einklang als mit Montenegro.
Ich besuche öfters den Balkan wegen meinen Verwandten. Ich kann die Sprache sprechen und mit meinen Mitmenschen dort kommunizieren, aber die kulturellen Unterschiede sind immer erkennbar. Der Glaube spielt bei ihnen noch eine grössere Rolle als in der Schweiz zum Beispiel. Für sie ist es schockierend, wenn ich sage, dass ich Atheist bin, nicht heiraten will und keine Kinder haben möchte. In ihren Augen breche ich sehr viele gesellschaftlichen Konventionen.
Von der Kultur meiner eigenen Ethnie lerne ich immer noch. Ich habe einen kleinen Heimvorteil wegen meiner Verwandten und Freunden, die ich dort habe, und kriege Informationen aus erster Hand. Meine Heimat aber ist die Schweiz. Ich spreche besser Deutsch als Serbokroatisch, habe mein ganzes Leben hier verbracht, nutze die Wahlstimme, die ich vom Schweizerstaat erhalten habe und nehme an vielen Wahlen teil. Ich bin mehr mit der Schweizerliteratur vertraut, bezahle Steuern und leiste Militärdienst.
Am Ende des Tages ist nicht die Frage nach meinem Balkan das Problem, sondern sind es die Details, die sich dahinter verstecken.
Zur Einstimmung auf die Tage südosteuropäischer Literatur im Literaturhaus schreiben die Stadtbeobachter-innen Arzije, Xhemile und Dorijan über ihren «Balkan in Zürich».
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